Die Zukunft der Verkehrsverbünde: Weniger ist mehr
In Deutschland gilt der öffentliche Nahverkehr als eine der größten Stärken des Landes. Millionen Menschen nutzen täglich Busse, Straßenbahnen, S-Bahnen und Regionalzüge, um zur Arbeit, zur Schule oder in ihrer Freizeit mobil zu sein. Doch hinter der Fassade eines dichten Netzes verbirgt sich eine zersplitterte Landschaft von Verkehrsverbünden. Heute existieren bundesweit mehr als 60 Verbünde, die jeweils eigene Strukturen, Tarifsysteme und Verwaltungsapparate aufgebaut haben. Was einst als sinnvolle regionale Lösung gedacht war, hat sich mittlerweile zu einem komplexen Flickenteppich entwickelt.
Aktuelle Situation
Verkehrsverbünde koordinieren innerhalb ihrer Region Fahrpläne, Tarife und Vertriebssysteme. Für die Fahrgäste bieten sie den Vorteil, mit einem Ticket verschiedene Verkehrsmittel unterschiedlicher Betreiber nutzen zu können. Die Idee dahinter ist gut, doch die Vielzahl an Verbünden bringt erhebliche Nachteile mit sich. Wer zum Beispiel verbundübergreifend unterwegs ist, stößt oft auf unterschiedliche Tarifzonen, inkompatible Ticketangebote und schwer durchschaubare Preisstrukturen.
Darüber hinaus sind die administrativen Kosten ein kritischer Punkt. Jeder Verbund verfügt über eine eigene Verwaltung, eigene Marketingabteilungen, IT-Systeme, Tarifstrukturen und Kontrollgremien. Diese Parallelstrukturen verursachen erhebliche Ausgaben, die letztlich von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern getragen werden. Während in Zeiten knapper Kassen Milliarden in den Ausbau von Schienen und klimafreundlichen Antrieben fließen sollten, bindet die Verwaltung der Verkehrsverbünde finanzielle und personelle Ressourcen.
Auch im Zuge der Einführung des Deutschlandtickets wurde sichtbar, wie schwerfällig die Verbundstrukturen sind. Statt eine einheitliche Lösung schnell und effizient umzusetzen, waren langwierige Abstimmungen zwischen der Vielzahl der Verbünden und Verkehrsunternehmen notwendig. Das Ergebnis: zusätzliche Verwaltungskosten und hohe zeitliche Verzögerungen aufgrund überbordender Bürokratie.
Ein Beispiel aus der Praxis
Besonders deutlich zeigt sich das Problem im Grenzbereich von Hamburg und Schleswig-Holstein. Wer von Pinneberg in die Hamburger Innenstadt unterwegs ist, muss sich mit unterschiedlichen Tarifzonen im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) auseinandersetzen, während für weitere Fahrten Richtung Norden die Strukturen des Schleswig-Holstein-Tarifs greifen. Unterschiedliche Preissysteme und Ticketangebote verwirren die Fahrgäste, anstatt die Nutzung des Nahverkehrs zu erleichtern. Für Vielfahrende hat diesbezüglich schon das Verbund-unabhängige Angebot des Deutschlandtickets bewiesen wie es einfacher geht.
Die Vision: Weniger Verkehrsverbünde
Angesichts dieser Herausforderungen drängt sich die Frage auf: Braucht Deutschland wirklich über 60 Verkehrsverbünde? Eine klare Antwort lautet: nein. Vielmehr könnte eine deutliche Reduzierung auf wenige, leistungsstarke Strukturen den öffentlichen Verkehr einfacher, günstiger und attraktiver machen.
„Die Zersplitterung in Dutzende Verkehrsverbünde ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Wenn wir die Mobilitätswende ernst nehmen, müssen wir den öffentlichen Nahverkehr so einfach machen wie möglich – ein Ticket, ein System, ein Preis“, betont ein Sprecher des Deutschen Städtetages.
Eine naheliegende Lösung wäre es, die Zahl der Verbünde an der Anzahl der Bundesländer zu orientieren. Jeder Verbund könnte ein Bundesland abdecken und so die Tarife, Fahrpläne und Vertriebssysteme vereinheitlichen. Das würde nicht nur den Verwaltungsaufwand senken, sondern auch die Verständlichkeit für die Fahrgäste verbessern. Eine Ausnahme ist dabei die Frage der Stadtstaaten. Berlin, Hamburg und Bremen haben sind jeweils eng mit den Nachbarländern verflochten. Statt an kleinteiligen Strukturen festzuhalten, könnte eine Integration mit Brandenburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine echte Vereinfachung bringen.
Fazit
Die Mobilitätswende verlangt effiziente Strukturen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren. Ein zersplittertes System von über 60 Verkehrsverbünden ist dabei ein Hindernis. Weniger Verbünde, idealerweise orientiert an den Bundesländern, könnten die Verwaltungskosten senken, die Attraktivität des ÖPNV steigern und die Nutzung für die Fahrgäste einfacher machen. Wenn Deutschland wirklich eine Vorreiterrolle bei nachhaltiger Mobilität übernehmen will, muss es nicht nur in Infrastruktur und Fahrzeuge investieren, sondern auch seine organisatorischen Strukturen mutig verschlanken. Weniger Verbünde bedeuten in diesem Fall mehr Mobilität.